Sprache wählen
DE
News

Das wirksamste Konzept gegen Pandemie-Frust: Die Stadt der kurzen Wege

Cinthia Buchheister Europe Press Office, Germany,Berlin
19 November 2020

Wie wirkt sich urbane Dichte in Corona-Zeiten auf das Lebensgefühl der Menschen aus? Antworten gibt das aktuelle Arup City Living Barometer, für das vom 29. Oktober bis zum 5. November 2020 jeweils 1.000 Menschen in Berlin, London, Paris, Mailand und Madrid befragt wurden. Das Ergebnis ist ein Plädoyer für das Konzept der 15-Minuten-Stadt. Dies besagt, dass die Umweltbedingungen sich verbessern und die Lebensqualität steigt, wenn Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten, Kindergärten, Ärzte, Parkanlagen, Kultur- und Sportangebote innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind.

 

Berlin ist nah am Ideal

Die coronabedingten Einschränkungen stellen die Menschen in den europäischen Metropolen auf eine harte Probe und verlangen ihnen viel ab. Überraschend ist, dass dies in den verschiedenen Städten sehr unterschiedlich bewertet wird. Während in Berlin nur 30 % der Bewohner über einen Umzug ins Umland nachgedacht haben, waren es in London 59 %, in Paris 41 %, in Mailand 39 % und in Madrid 37 %. Hat man alles, was man zum Leben braucht, in unmittelbarer Nähe scheint der Wunsch nach räumlicher Veränderung geringer. In Berlin ist die nächste Grünfläche in durchschnittlich 11 Minuten fußläufig erreichbar, Londoner brauchen doppelt so lange, bis sie den nächstgelegenen Park erreichen. Der Weg ins Restaurant dauert in Berlin 12 Minuten, zum Supermarkt 13 Minuten, zum Arzt 14 Minuten, ins Fitness-Studio 18 Minuten und zur Schule 20 Minuten. Die Mehrheit der Befragten ist mit der Erreichbarkeit zufrieden, lediglich 22 % wünschen sich kürzere Wege. Als besonders negativ wird der Arbeitsweg empfunden, der mit 32 Minuten deutlich über dem Idealwert von 15 Minuten liegt.

Lebensqualität trotz Lockdown

Trotz Lockdown konnten die Befragten der Pandemie auch positive Seiten abgewinnen. Weniger Verkehr, bessere Luft, Arbeiten von zu Hause sowie mehr Zeit für Kinder und Familie wurde von den meisten als Verbesserung ihrer Lebensqualität bewertet. Der Großteil wünscht sich, dass Homeoffice auch nach Corona an ein oder zwei Tagen pro Woche möglich sein wird.

Die Pandemie hat wie durch ein Brennglas gezeigt, was in unserer Gesellschaft gut läuft und wo wir nachjustieren müssen. In der Krise wurde deutlich, wie wichtig das unmittelbare Umfeld ist, die Nachbarin, der Laden um die Ecke, der Park vor der eigenen Haustür. Trotz Social Distancing sind sich die Menschen wieder nähergekommen. Diesen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt gilt es durch kluge Stadtgestaltung zu stärken. Unser aktuelles Arup City Living Barometer hat verdeutlicht, dass die Stadt der kurzen Wege auch in Zukunft noch das Ideal sein wird. Ich denke, dass wir das Verdichtungskonzept im Rahmen einer 15-Minuten-Stadt anhand der gemachten Krisenerfahrungen weiterentwickeln müssen. Wenn wir die richtigen Schlüsse ziehen, könnte Corona ein Katalysator sein, der die nachhaltige Transformation unserer Städte beschleunigt und sie damit resilienter gegen zukünftige Krisen macht. ” Portrait von Rudi Scheuermann Rudi Scheuermann Leiter City Business bei Arup in Deutschland

Berliner erscheinen weniger besorgt

Aber die Pandemie hat auch Ängste geschürt. 60 % der Bewohner von Madrid haben im engen Umkreis Menschen, die schwer an COVID-19 erkrankt sind, deutlich mehr als in London (53 %), Mailand (43 %), Paris (37 %) und Berlin (26 %). Dementsprechend zeigen sich die Menschen in Madrid besorgter im Hinblick auf zukünftige Pandemien (82 %), Mailand (79 %), London (74 %), Paris (72 %) und Berlin (62 %). Bedenklich ist, dass rund die Hälfte aller Befragten der Ansicht ist, dass ihre Stadt durch die Erfahrungen mit COVID-19 nicht besser auf zukünftige Pandemien vorbereitet ist. Ebenfalls die Hälfte glaubt, dass es bis Ende nächsten Jahres oder länger dauern wird, bis sich die Dinge wieder normalisiert haben. Interessanterweise haben die Krisenerfahrungen auch das Bewusstsein für den Klimawandel geschärft: Dieses Thema bereitet 40 % der Berliner nach den Erfahrungen aus der Corona-Krise nun mehr Grund zur Sorge, die Befragten in London (61 %), Mailand (61 %), Madrid (58 %), Paris (57 %) sehen es noch kritischer.

Niedrigere Corona- und Arbeitslosenquote

Die reduzierte Besorgnis der Berliner dürfte auch mit den gesundheits- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung zusammenhängen: So ist die Zahl der Corona-Fälle in Deutschland deutlich niedriger als in anderen europäischen Staaten. Auch unsere vergleichsweise geringe Arbeitslosenquote wird vermutlich dazu beitragen, dass die Einwohner der deutschen Hauptstadt positiver in die Zukunft blicken.

Quartiere als Städte in der Stadt

Welche Schlüsse sich aus dem Arup City Living Barometer für die künftige Stadtplanung ziehen lassen, erläutert Rudi Scheuermann: „Die Pandemie hat sehr deutlich gezeigt, welche Bedeutung funktionierende Nachbarschaften für den Zusammenhalt der Gesellschaft haben. Deshalb sollten wir Quartiere in Zukunft so planen, dass Leben, Wohnen und Arbeiten eng miteinander verbunden sind. Weil ein Quartier mehr ist als die Summe seiner Teile, müssen alle Ebenen perfekt ineinandergreifen: Neben Wohnraum, der den Bedürfnissen aller Altersgruppen und sozialen Schichten gerecht wird, braucht es attraktive Gewerbekonzepte, Cafés und Restaurants, Freizeitangebote und Spielplätze, Parks und Urban Gardening Flächen sowie Mobility Hubs mit verschiedenen umweltfreundlichen Mobilitätsangeboten. Das ist die Formel, die wir bereits in unserem Forschungsbericht „Cities Alive: Towards a Walking World“ herausgearbeitet haben. Sie hilft, Städte lebenswerter und ihre Bewohner zufriedener zu machen.“